Die Abstrakte Fotografie entzieht sich einer klaren Definition. Jeder versteht etwas anderes darunter. Was deine Kamera – entsprechend den Aufnahmebedingungen „normal“ eingestellt – festhält, gleicht weitgehend dem, was Du mit deinen Augen siehst.

Die Verteilung von hell und dunkel, das Größenverhältnis einzelner Objekte untereinander entspricht ungefähr der Wirklichkeit, das Abbild erscheint realistisch.

In Wahrheit aber ist jede fotografische Aufnahme eine Abstraktion: aus dem ständigen Fluss, in dem sich alle Dinge befinden, schneidet sie willkürlich den Zustand während eines Sekundenbruchteils heraus, reduziert eine dreidimensionale Welt auf zwei meist verkleinerte Dimensionen, verflacht oder verfälscht die Perspektive, die noch dazu auf einen einzigen Punkt bezogen wird. Nicht genug damit! Die Farben werden nur annähernd dem Augeneindruck entsprechend festgehalten. Was ihre Umsetzung in die Grauwerte des schwarz-weiß anbelangt – in sich schon weitgehende Abstraktion – so entspricht auch hier die Sensibilisierung nicht vollkommen der spektralen Empfindlichkeit des Auges, von der Kontrastübertragung ganz zu schweigen.

Abstrakte Fotografie

In der realistischen Fotografie nehmen wir diese dem Medium eigenen Mängel zum Teil in Kauf und übersehen Sie großzügig. Die zusätzliche Aufhellung, Filterung und Bildbearbeitung entgegen und Neutralisieren sieso in ihrer Auswirkung. Das Resultat ist ein mehr oder minder objektives Abbild der Wirklichkeit. In der abstrakten Fotografie dagegen gehen wir oftmals den umgekehrten Weg und nutzen die Mängel unseres Mediums, um eine subjektive Bildvorstellung Ausdruck zu geben. Eine Reihe von Möglichkeiten bietet sich dazu bereits bei der Aufnahme an, andere sind anschließende Bildbearbeitungsverfahren vorbehalten.

Eine klare Trennlinie zwischen realistischer und abstrakter Fotografie lässt sich jedoch nicht ziehen. So werden die Ergebnisse durchaus objektive, wissenschaftliche Aufnahmen, die beispielsweise durch ein Mikroskop von chemischen und biologischen Präparaten gemacht worden, dem Laien unter Umständen als zauberhafte Form – und Farbabstraktion erscheinen, den ihrem ästhetischen Eindruck nicht mehr zu verbessern sind. Den wissenschaftlichen Gehalt der Aufnahmen wird meist nicht erkannt. Wo also ist die Grenze zu ziehen? Und ist es nicht verständlich, dass genau in diesem Punkt die Kritik an der abstrakten Fotografie einsetzt? Der Versuch, jeden Sinn abzusprechen?

Nun, es gibt Menschen, die der Fotografie generell die Befähigung zur künstlerischen Verdichtung absprechen möchten. Diese werden von fotografischen Bildern mit hohem Kunstgehaltes widerlegt. Und so darf die Kritik wohl auch in unserem speziellen Falle als unangebracht gelten: Wurde die Aufnahme der wissenschaftlichen Dokumentationen willen gemacht, haben sie trotz zufällige, ästhetische Schönheit als fotografische Dokumente, als Sachaufnahmen zu gelten. Reiht man die Aufnahmeergebnisse unter die künstlerische Abstraktion ein, vorausgesetzt, dass die Zielsetzung, die bildhafte Verdichtung erreicht wurde.

Es ist also die Absicht und mit ihr die willkürliche Wahl des Darstellungsverfahrens das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen objektiv–realistischer und subjektiv–abstrakter Fotografie. Und diese ist keineswegs nur als ästhetische Spielerei zu werten. Sie vermag durch den Grad der Abstraktion das zeitlos gültige an dem Motiv zu unterstreichen, herauszuheben oder gar zu kraftvoller Aussage zu verdichten.

In diesem Sinne ist jede Aufnahme die aus subjektiven Gründen gemacht und mit welcher eine subjektive Bildvorstellung Ausdruck verliehen wurde, eine willkürliche Abstraktion. Wie weit diese getrieben wird, ist natürlich individuell verschieden. Der Fotografierende kann in letzter Konsequenz soweit gehen, dass Motiv scheinbar seine Gegenständlichkeit genommen wird und so gewissermaßen zu einer gegenstandslosen, rein subjektiven Fotografie vordringt. Die Unterschiede sind wie bei anderen Medien bildhafter Darstellung letzten Endes nur graduell.

Ein spezielles Verfahren abstrakter Fotografie gibt es nicht. Die Bilder bestimmt also die Technik, und die ist von der normalen Aufnahmetechnik oftmals gar nicht oder doch nur wenig verschieden. Deine Wahl setzt allerdings gründliche Kenntnisse fotografischer Kenntnisse voraus, weshalb du reproduzierbare Versuche in diese Richtung erst unternehmen solltest, nachdem du mit den konventionellen Darstellungsverfahren Erfahrung gesammelt hast. Wie bei jeder Aufnahmetechnik ist das ausprobieren und die Ausnahme die Regel.

Viele interessante Formen finden sich bei kleinen Dingen. Um Ihnen abstrakten Ausdruckswert zu verleihen, genügt es manchmal schon sie vor geeignetem Hintergrund isoliert zu zeigen.